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Was können wir von Pferden lernen?

Von Jacqueline Sturm

Pferde sind von Natur aus skeptisch, klaustrophobisch und unsicher. In Gefahren – oder Konfliktsituationen bekommen sie Panik und flüchten. Erst dann überlegen sie, ob die Flucht wirklich nötig war. [1] Wie sollen diese ängstlichen Tiere uns Menschen überhaupt bei irgendetwas, geschweige denn bei unserer persönlichen Entwicklung helfen? Was können wir von Pferden lernen?

Als Expertinnen im pferdegestützten Coaching wissen wir – Pferde:

  • leben im Moment
  • akzeptieren uns so wie wir sind
  • geben uns die Möglichkeit, unsere Körpersprache zu üben
  • helfen uns, eigene Unsicherheiten zu überwinden
  • Sie sind der ideale Spiegel echter Führungskompetenz
  • und ermöglichen uns, die Planung und Durchführung von Aufgaben und Projekten am Modell zu üben.



Was sind die Besonderheiten von Pferden aus Coaching-Sicht?

Als Flucht- und Beutetier, ist das Pferd darauf angewiesen, kleinste Hinweise auf Verhaltensänderungen, die eine Gefahr bedeuten können, wahrzunehmen. Deshalb beobachten sie selbst minimale Veränderungen und Bewegungen in ihrem Umfeld genau.[2] Pferde kommunizieren weniger über Laute, sondern überwiegend durch ihre Körpersprache. Das Pferd zeigt durch seine Körpersprache, wie es sich gerade fühlt. Jede Drehung des Ohres und die Körperhaltung mehrerer Pferde zueinander hat eine Bedeutung. Hierbei kann es sich nicht verstellen oder dem Menschen etwas vorspielen.[3] Alle Reaktionen, jedes Verhalten und jede Regung stimmt bei einem Pferd mit seiner aktuellen Gefühlslage überein. Es denkt nicht über drei Ecken und strebt keine ideellen Ziele an. Alles was es macht, dient der Erhaltung seines Wohlbefindens. Pferde sind immer ehrlich und reagieren nur auf das, was der Mensch ihnen gerade anbietet, unabhängig von Status oder bisheriger Leistung.[4]

Die Rangordnung in der Herde

Pferde leben in sozialen Zusammenschlüssen, die ihnen Schutz und Geborgenheit bieten. Das Sozialverhalten, das notwendig ist, um in einer Gemeinschaft zu leben, ist bei Pferden sehr hoch entwickelt. Sie verfügen über eine Hierarchie, die genau festgelegt ist: Diese wird als Rangordnung bezeichnet und bildet die Grundlage für jede soziale Interaktion.

Pferde auf der Weide
Die Herde

Besonders hervorzuheben ist der Rang der Leitstute und der des Leithengstes. Die Leitstute führt die Herde an und trägt die Verantwortung für das Wohlergehen der einzelnen Herdenmitglieder. Sie zeichnet sich durch Souveränität, Beständigkeit, Besonnenheit, Klarheit und Vertrauenswürdigkeit aus. Wenn sie bei Gefahr das Zeichen zur Flucht gibt, folgt ihr die gesamte Herde, ohne darüber zu diskutieren.

Der Leithengst sichert die Herde von hinten gegen Angreifer und treibt sie an. Hierbei macht er Druck zum Beispiel, indem er die anderen Pferde in die Flanke beißt. Er ist bereit zu kämpfen um seine Herde zu schützen. Er zeichnet sich durch Kraft, (mentale) Stärke, Durchsetzungswille und Mut aus.

Wer ranghoch ist hat mehr Rechte und darf z.B. zuerst fressen und kann anderen den Aufenthaltsort streitig machen. Es beinhaltet aber auch mehr Pflichten gegenüber den Artgenossen. So müssen ranghohe Tiere beispielsweise den Weg sichern und für Ruhe sorgen.

Jedes Pferd kennt seinen Rang und fühlt sich sicher, solange dieser klar ist und das Pferd weiß, wer über und wer unter ihm steht. Das Pferd ordnet daher allen Artgenossen und auch dem Menschen einen Rang zu. Der Mensch wird entweder als ranghöher oder niedriger eingestuft. Wird er als ranghöher eingestuft, orientiert sich das Pferd an ihm wie an der Leitstute und macht, was der Mensch von ihm verlangt. Wird der Mensch als rangniedriger eingestuft, bedeutet dies, für das Pferd, dass es selbst die Führung übernehmen muss.[5][6][7]

Pferd im Grünen

Ein Pferd ist mit ihrer gesamten Aufmerksamkeit in der Gegenwart. Es plant weder für die Zukunft, noch überlegt es, ob es sich in der Vergangenheit richtig verhalten hat.[8]

Und was bringt uns dies nun für unsere persönliche Entwicklung? Was können wir von Pferden lernen?

Akzeptanz

Wie beschrieben sind Pferde immer ehrlich und reagieren nur auf das Verhalten, dass der Mensch gerade zeigt. Sie haben keine Vorurteile, sondern nehmen jeden in seinem So-Sein an. Äußerlichkeiten spielen keine Rolle. Dadurch kann das Feedback von Pferden oft besser angenommen werden, als von einem Menschen. Eine Ablehnung durch das Pferd ist eine unmittelbare Reaktion auf ein gezeigtes Verhalten (oder ein Empfinden) und keine Kränkung auf persönlicher Ebene.[9]

Kommunikation

Der Mensch hat häufig verlernt, seine Körpersprache bewusst einzusetzen und kommuniziert mehr über das gesprochene Wort. Dies muss nicht immer mit seinen tatsächlichen Gefühlen übereinstimmen. Die Körpersprache hingegen zeigt auch beim Menschen häufig seine wahre Gefühlswelt. Da das Pferd, wie oben beschrieben überwiegend durch Körpersprache kommuniziert und als Fluchttier darauf angewiesen ist, diese sehr sensibel wahrzunehmen, reagiert es auch beim Menschen überwiegend auf nonverbale Sprache. Deshalb kann der Mensch sich bei der Arbeit mit dem Pferd nur schwer verstellen und das Pferd kann ihm die Absichten, die er durch seine Körpersprache vermittelt, verdeutlichen. Dadurch kann eine Übereinstimmung zwischen der Körpersprache und dem gesprochenen Wort entstehen, was zu mehr Authentizität führt. Außerdem wird die eigene Körpersprache durch den bewussten und notwendigen Einsatz geschult und verbessert.[10]

Lernen

Um optimal zu lernen, ist es wichtig, möglichst viele Sinne zu nutzen. In der Interaktion mit dem Pferd wird der Mensch mit allen Sinnen angesprochen, es findet ein Erleben auf kognitiver, emotionaler und aktionaler Ebene statt. Dadurch wird eine ganzheitliche Lernerfahrung ermöglicht, die nachhaltig wirkt.[11]

Beziehung

Das Pferd ermöglicht es uns, eine positive Beziehungserfahrungen zu machen. Dies kann vor allem hilfreich sein, wenn negative Beziehungserfahrungen gemacht wurden und der Beziehungsaufbau erschwert ist. Durch die Akzeptanz im So-Sein, verbunden mit der kongruenten Kommunikation, die Klarheit schafft, kann eine neue, positive Art der Beziehung erlebt werden. Carl Rogers beschreibt, dass die Wirkprinzipien einer Beziehung Empathie, Kongruenz und unbedingte Wertschätzung sind. All dies wird durch das Pferd ermöglicht. Diese erlebte und gefühlte Beziehung kann unter Umständen auf andere Menschen übertragen werden. Das Pferd kann hier als „Eisbrecher“ fungieren, es ermöglicht das Eingehen einer Beziehung, was im Coaching eine entscheidende Rolle spielt, da diese ein entscheidender Wirkfaktor ist.

Überwindung von Unsicherheit

Das Coaching mit einem Pferd kann zudem dabei helfen, eigene Ängste und Unsicherheiten zu reduzieren. Zu Beginn kann das Pferd doch einen gewissen Respekt auslösen, allerdings ist es nötig eine sichere Ruhe auszustrahlen, um dem Fluchttier Pferd den Fluchtimpuls zu nehmen. Außerdem kann mit dem Pferd exemplarisch ein guter Umgang mit eigenen Ängsten erprobt werden. Die Überwindung der Angst und schließlich die Kontrolle über dieses große Pferd, das vorher so respekteinflößend war, kann zu einer Steigerung des Selbstbewusstseins führen und Zugang zu den eigenen Ressourcen ermöglichen. Diese Selbstsicherheit kann sich dann auch im Umgang mit anderen Menschen zeigen.[12]

Führungskompetenzen werden verdeutlicht

Dadurch dass Pferde jedem Lebewesen instinktiv einen Rang zuordnen, zeigen sie einem wertfrei die eigenen Führungskompetenzen auf. Sie sind der ideale Spiegel echter Führungskompetenz. Im Herdenverband führt die Leitstute durch klare Körpersprache und ihre Ausstrahlung die rangniederen Tiere an. Durch den Leithengst fühlt die Herde sich beschützt. In Zeiten der Not, darf dieser auch Druck ausüben. Auch Menschen folgen dann freiwillig, wenn eine natürliche Balance zwischen Respekt, Vertrauen, Autorität, Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit besteht. Mit dem Pferd können Führungsqualitäten entwickelt bzw. verdeutlicht werden. Durch das Pferd als Medium wird der Führungsprozess erlebbar. Das Pferd kann genutzt werden, um zu zeigen, dass Klarheit und Authentizität zu den grundlegenden Führungsqualitäten gehören.

Erprobungs- und Übungsraum

Das Pferd bietet die Möglichkeit verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die zuvor besprochen und durchdacht wurden, praktisch in einem geschützten Rahmen auszuprobieren. Es kann hilfreich sein, zu sehen, dass das Reden über etwas doch etwas anderes ist, als die direkte Durchführung. Die Übungen werden dabei direkt auf die Teilnehmer:innen ausgerichtet, wobei sich vieles aus dem Alltag mit dem Pferd abbilden lässt. Dies kann beispielsweise das Arbeiten unter Zeitdruck, der Umgang mit komplexen Aufgaben oder die Führung eines Teams sein. Hierbei können auch Grenzen erfahren werden. Das Erlebte und eventuell aufkommende Gefühle können direkt besprochen und reflektiert werden. Dadurch können Erkenntnisse über eigene Denk – und Verhaltensmuster, Stärken und Potentiale gewonnen und direkt auf den eigenen Alltag übertragen werden.[13] Diese Möglichkeit verbessert das Gefühl der Selbstwirksamkeit und die Motivation auch im Alltag neue Handlungsoptionen auszuprobieren steigt.

Neue Perspektiven und Erfahrungen durch pferdegestütztes Coaching

Durch all diese Möglichkeiten ermöglicht uns pferdegestütztes Coaching einen neuen Blickwinkel. Charaktereigenschaften, Stärken, Schwächen und Verhaltensmuster werden in der Zusammenarbeit mit einem Pferd deutlich.[14]

Wichtig ist es dann all diese Erkenntnisse auf den eigenen Alltag zu übertragen und zu reflektieren. Denn nur so kann ein nachhaltiger Veränderungsprozess in Gang gesetzt und eine Lernerfahrung ermöglicht werden.

All dies zeigt, dass das Pferd, dass auf den ersten Blick Eigenschaften mitbringt, die nicht unbedingt förderlich wirken, doch eine Reihe verschiedener Möglichkeiten bietet und vielfältige Fähigkeiten hat.

Wie ist es bei Ihnen, welche versteckten Potentiale schlummern in Ihnen? Welche vermeintlich negativen Eigenschaften könnten in einem anderen Kontext ungeahnte Möglichkeiten bieten?

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[1]Wild, Jenny & Claßen, Peer (2015). Übungsbuch Natural Horsemanship. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co KG.

[2]Ebd.

[3]Kruse, Kerstin & Schröder, Anabel (2016). Coaching mit Pferden: Viel mehr als heiße Luft. Funktionsweise, Qualitätsmerkmale und Rahmenbedingungen pferdegestützter Coachings und Seminare. 2.Auflage. Hamburg: Windmühle Verlag.

[4]Konir, Gerhard (2012). Pferdegestütztes Coaching. Menschliche Potenzialentfaltung durch tierische Hilfe. Books on Demand.

[5]Schwaiger, Suanne E. (2000). Ein Weg mit Pferde – ein Weg zu mir. Das Pferd als Persönlichkeitstrainer. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co KG: 21ff

[6]Vernooji, Monika A. & Schneider, Silke (2013). Handbuch der tiergestützten Interventionen. Grundlagen Konzepte Praxisfelder. 3.Auflage. Wiebelsheim: Quelle&Meyer Verlag: 213

[7]Kruse & Schröder (2016): 81ff

[8]Ebd.: 84

[9]Vgl. Konir (2012): 25f

[10]Vgl. Vernooji & Schneider (2018): 213; vgl. Konir (2012): 27

[11]Vgl. Konir (2012): 27; vgl. Kruse & Schröder (2016): 21f

[12]Konir (2012): 28ff

[13]Kruse & Schröder (2016): 21f

[14]Ebd.: 40